Zugegeben, die Bilder des vergangenen Sonntag verursachen bei uns immer noch Gänsehaut. Denn an Stimmung, Spannung, körperlicher und technischer Anforderung, Fairness und Freude, waren die letzten 4 Tage bei den Golden Trail World Series in Ligurien kaum zu überbieten. Die Organisatoren haben bei allen Bewerben über die ganze Saison eine außergewöhnliche Atmosphäre gezaubert, wohl eines der Geheimnisse dieses besonderen Formats, doch dazu später mehr.
Mit diesem Sonntag ging für unsere Athleten nicht nur eine sehr lange und intensive Saison zu Ende, vielmehr bestätigte dieses Finale in Italien, dass sich unsere Athleten, nach einer grandiosen Weltmeisterschaft im Juni und nach dem Sieg im Weltcup letzte Woche, nicht nur die besten Bergläufer der Welt nennen dürfen, sondern nun auch zu den Weltbesten Trailläufern zählen. Und das, wo man doch bis zu diesem Jahr immer wieder erwähnte, Kenianer wären für den Traillauf nicht geeignet. Nun diese Meinung haben Patrick KIPNGENO und Philemon Ombogo KIRIAGO in dieser Saison imposant widerlegt.
Und wieder waren es unsere run2gether Athleten, die nach dem Berg- und jetzt auch dem Traillaufsport seit unserer Vereinsgründung 2008, einen „kenianischen Stempel“ aufdrückten. Doch leider erfährt der Berg-(und Trail)lauf im kenianischen Verband immer noch nicht die angemessene Aufmerksamkeit und Unterstützung, die er verdient! Diese kritische Anmerkung möge uns nach der jahrelangen harten Arbeit und den vielen Erfolgen unserer Athleten erlaubt sein. 

Umso wichtiger ist es, dass es Formate, wie die Golden Trail World Series (GTWS) gibt.

Was ist die GTWS?
Das Ziel der 2018 erstmalig veranstalteten Serie ist es, den Traillauf selbst und junge, talentierte Athleten zu fördern. Mit der Teilnahme ergibt sich erstens die Möglichkeit, sich mit der Elite zu messen, sich zweitens in nationalen Serien für die Worldseries zu qualifizieren und drittens über entsprechende Leistungen, auch finanzielle Unterstützung (Spesenersatz, freies Nenngeld und attraktives Preisgeld) zu erhalten. Die Nationals werden in 25 Ländern auf drei Kontinenten ausgetragen (Europa, Nordamerika, Asien).
Die World Series besteht aus 6 überregionalen Rennen. 2023 gab es einen gemeinsamen Bewerb, der auch im Rennkalender der World Mountain Running Association (WMRA) stand. In Sierre-Zinal gab es also Punkte für die WMRA Weltcup- und die GTWS Wertung. Teilnehmer, die bei mindestens 3 GTWS-Bewerben so viele Punkte erreichten, dass sie unter den Top 30 gereiht waren, wurden zum Finale nach Italien eingeladen. Auch über die Nationals konnten sich die Top 3 der jeweiligen Regionen qualifizieren. Die Qualifikation beinhaltete auch den Spesenersatz für Reise und Unterkunft. Damit war es auch Amateuren möglich, in Ligurien zu starten. Alle Bewerbe waren (auf Selbstkosten) für alle Interessierte offen. So will man auch den Breitensport in das System einbinden.
Die Punkte aus den Vorbewerben + den erkämpften aus den zwei Finalbewerben, ermittelten die Overall-Sieger bei Damen und Herren.

Nun schwenken wir nach Noli, an die wunderschöne ligurische Küste, dem Austragungsort des „Grande Finale“.

Golfo dell’ Isola Trail, Italien, GTWS Finale
Für das Finale nahm man sich 4 Tage Zeit. Zwei Bewerbe standen am Programm, aber anders wie beim WMRA Weltcupfinale wurden die Damen- und die Herrenrennen einzeln ausgetragen. Zurecht, wie wir meinen, denn so bekamen die Damen eine angemessene Bühne für ihre Rennen. Jeder, der die Finalbewerbe am vergangenen Wochenende verfolgte, wurde nicht enttäuscht! Denn die Leistungen der Damen waren mehr als nur die Aufwärmrunde für die Herren. In beiden Bewerben, dem Prolog und dem Hauptrennen, konnte man fabelhafte Leistungen, spannende Verschiebungen im Ranking und technisch ausgezeichnete Athletinnen sehen. Beim Hauptrennen am Samstag blieb die Overall-Entscheidung bis zum Zieleinlauf offen. Nach Punktegleichstand der beiden Führenden Laukli und Wyder, entschieden die Platzierungen über den Gesamtsieg für Laukli. Mehr Spannung ging nicht.

Zurück zu unseren beiden Athleten. Ehrlicherweise waren unsere Erwartungen vor dem Finale etwas gedämpft. Nach der kräfteraubenden Saison und dem ebenso kräfteraubenden WMRA Finale auf Gran Canaria ein paar Tage zuvor, waren Philemon und Patrick wirklich müde. Patricks Verletzungen aus den letzten Monaten (Knie seit Juli, Sprunggelenk seit August) machten zudem immer noch Probleme und er lief unter Schmerzen.

Prolog, Freitag
Ein „unübliches“ Rennen, denn bei der GTWS gibt es nur Distanzen zwischen 20 Km und 45Km. Doch für das Finale wurde der Prolog über 8,7 Km mit 400 positiven HM veranstaltet. Aber wie auf Gran Canaria als Verfolgungsrennen und in gestürzter Reihenfolge. Die Erfahrungen der Vorwoche sollten helfen, denn für Philemon und Patrick war dieser Modus vor dem WMRA Finale komplett neu. Über den ganzen Bewerb

Streckenprofil Prolog

lang wusste der Athlet nicht, wo er zeitlich lag. Zum Unterschied zu den Kanaren waren die Zeitabstände der Top 30 bei der GTWS auf eine Minute angesetzt.
Philemon startete als 6. letzter und Patrick eine Minute später. Feucht, windig und technisch anspruchsvoll präsentierte sich der Rundkurs. Der erste Km verlief flach, davon aber 500m über den Sandstrand, auch eine neue Erfahrung. Dann ging es 400 Hm ab ins Gelände und dann rasant wieder zurück nach Noli. Der Schnellste an diesem Tag war mit dem Marokkaner Ellazzaoui kein Unbekannter, dahinter platzierte sich Philemon auf dem 2. Platz! Der Gesamtführende Schweizer Bonnet wurde nach einem Penaltybeschluss auf den 3. Platz gereiht, Patrick finishte auf dem ausgezeichneten 4. Rang. Für die Overall Wertung bedeute dieses Resultat zwar keine Verschiebung für unsere Herren für den Sonntag-Bewerb, aber hinter Bonnet ging es punktmäßig sehr eng her. Also für große Spannung beim allerletzten Bewerb der Saison war gesorgt.

Hauptbewerb, Sonntag
Anders als zwei Tagen zuvor, war es trocken und am Start um 10:15 schon gut warm, aber nicht heiß. Die große Frage: wie konnten unsere beiden Helden die Strapazen vom Freitag verdauen? Diesmal war wieder der gewohnte Massenstart am Plan. 26,37 Km mit 1.430 Hm lang war der Kurs, der die Teilnehmer mindestens 2 Stunden lang beschäftigten sollte.
Nach dem Start setzte sich Philemon, wie gewohnt, schnell an die Spitze der Gruppe. Patrick blieb, auch wie immer, etwas zurückhaltender dahinter. Nach einer flachen Runde durch Noli ging es auf die erste von vier verschiedenen Schleifen, die zwischen den Runden dreimal durch den Zielbereich und die Fanzone führten. Eine Besonderheit, die für die Zuschauer konzipiert wurde.

Das Tempo war von Beginn an extrem hoch, schnell löste sich eine Gruppe von 5 Läufern vom Rest des Feldes, unsere beiden Athleten mittendrin. Während Philemon für das Tempo vorne sorgte, konnten wir Patrick’s 5. Platz nicht einordnen, denn auch in der zweiten Schleife mit den steilsten Bergaufabschnitten,

4 unterschiedliche Schleifen rund um den Ort Noli

die ihm eigentlich liegen sollten, konnte er nicht angreifen. Vorne matchte sich Philemon mit dem Kenianer Kibet und dem Marokkaner Ellazzaoui, dahinter mit etwas Abstand Patrick mit dem Gesamtführenden Bonnet. Schließlich fiel der Kenianer Kibet aber zurück. Patrick konnte den Schweizer Bonnet überholen, somit war er beim Durchlauf durch die Fanzone nach 14 Km bereits an der 3. Stelle. Eine unglaubliche Entwicklung, wirkte er doch am Beginn nicht aggressiv genug. Auf der 3. Schleife versuchte sich Philemon mehrmals von dem Marokkaner zu lösen, aber es reichte immer nur für wenige Meter Vorsprung. Patrick dagegen, arbeitete sich immer näher an die beiden heran. Beim 3. Einlauf durch den Zielbereich, 2 Km vor dem Ende des Laufs, reduzierte Patrick die Lücke zu den Führenden bis auf 10 Sekunden. Vorne allerdings hatte der Marokkaner nun Philemon überholt, der bis dahin all die Führungsarbeit geleistet hatte. Auf der letzten Schleife konnte Philemon Ellazzaoui zwar nichts mehr entgegenhalten, den Abstand zu Patrick aber groß genug halten. Philemon sicherte sich den 2. Platz im Rennen und Patrick, der unter großen Schmerzen lief, erreichte den fantastischen 3. Rang. Remi Bonnet platzierte sich auf dem 4. Platz. Somit blieb der Schweizer in der Overall-Wertung knappe 38 Punkte vor Patrick, aber Philemon katapultierte sich mit seiner großartigen Leistung vom 6. auf den 3. Gesamtrang. Was für ein Rennen, unglaublich!!

Ergebnisse GTWS Finale Golfo dell’ Isola Trail 

Vollgepackt mit unheimlich vielen Erfolgen, Erfahrungen, Eindrücken und durchaus gutem Preisgeld verabschieden sich unsere beiden Helden nun in die wohlverdiente Pause und widmen sich zu Hause in Kenia der Regeneration und ihren Familien.
Übrigens: das letzte Rennen der Saison 2023 widmete Philemon seinem ersten Baby, das im nächsten Monat zur Welt kommen soll! Wir wünschen den zukünftigen Eltern alles erdenklich Gute für ihre Familie!

Euer run2gether Team